Hochtourentage in der Venedigergruppe – August ’24
Direkt im Anschluss an den Dolomitenhöhenweg nutzten Sophie & ich unsere freien Tage spontan für ein paar wunderschöne Hochtourentage in der Venedigergruppe.
Welche Route wir gewählt haben, welche Gipfel wir bestiegen haben und mit welchen Vorurteilen reine Frauen-Seilschaften manchmal konfrontiert sind – darum geht es in diesem Beitrag.
Ich wünsche dir beim Lesen ganz viel Freude & hoffe, es weckt auch in dir Erinnerungen an schöne Bergtouren und die Vorfreude auf den kommenden Bergsommer. Und falls du danach auch so richtig Lust bekommen hast, dich an eigene Bergabteuer zu wagen, dann schau gerne bei unseren Touren vorbei.
Lesedauer: ca. 15min
Inhaltsverzeichnis:
- Routenübersicht
- Tag 1 – Aufstieg zur Essener-Rostocker-Hütte
- Tag 2 – Besteigung der östl. Simonyspitze
- Tag 3 – Übergang zum Defreggerhaus
- Tag 4 – Großvenediger & Abstieg nach Hinterbichl
- Fazit
Die Route

Nachdem wir am siebten und letzten Tag unserer Führungswoche am Dolomiten Höhenweg (dazu gibt’s übrigens einen separaten Blogartikel) unsere Gruppe verabschiedet haben, geht es für Sophie und mich erstmal in ein kleines Café und bei gutem Cappuccino setzen wir uns direkt an die Tourenplanung. Vier freie Tage haben wir noch gemeinsam, bevor ich auf die nächste Tour an der Zugspitze starte. Die Wettervorhersage ist recht vielversprechend. Wir könnten in den Dolomiten bleiben und vom Bus aus Tagestouren machen, der Monte Pelmo lacht uns zum Beispiel an. Aber irgendwie hätten wir auch beide nochmal richtig Lust auf Gletscher & Eis. Mit dem Großvenediger hat Sophie noch eine Rechnung offen. Ich selbst war zwar 2021 schon mal oben, aber im kompletten Whiteout – klingt also nach einem guten Ziel für uns beide. Außerdem finde ich die Aussicht schön, eine Rundtour draus zu basteln und nicht jeden Tag wieder mit dem Auto zu anderen Ausgangspunkten fahren zu müssen. Der Plan steht also, die Hütten sind noch frei (Sonntag bis Mittwoch geht dann zum Glück auch spontan) und wir machen uns auf den Weg Richtung Virgental.
Tag 1 – Olympia-Finale & Adiletten-Zustieg mit Kaktuseis
Am Habererhof kriegen wir am Samstagabend spontan noch einen Platz auf einem kleinen Campingplatz, sortieren unsere Rucksäcke, kümmern uns um die Wäsche und während ich für mich noch die Tour in den Dolomiten nachbereite und meine Rechnung schreibe, bekocht mich Sophie mit hervorragender Pasta al Limone und frischem Salat (übrigens, wer braucht schon Salatschüsseln, wenn man Euroboxen im Bus hat… 😏)


Am nächsten Morgen gönnen wir uns zur Feier des Sonntags, keinen Wecker zu stellen. Ewig lange schläft man im Dachzelt trotzdem nicht, aber wir genießen den ruhigen Morgen sehr, kochen frischen Oatly Barista Cappuccino (ein Hoch auf meinen Bialetti Milchaufschäumer 😍) und lassen es langsam angehen.
Wir wollen heute nur auf die Essener-Rostocker-Hütte aufsteigen. Vom Tal aus sind das entspannte 850 Hm, dafür einiges an Strecke. Ein klassischer Hüttenzustieg in den Hohen Tauern eben. Da am frühen Nachmittag noch das olympische Finale im Handball ansteht und tatsächlich Deutschland gegen Dänemark antritt, rechnen wir das kurz mal zeitlich durch und entscheiden, den Livestream am Parkplatz in Hinterbichl zu verfolgen und in der Halbzeitpause die Rucksäcke zu packen, so dass wir es bis zum Abendessen auf die Hütte schaffen.
Mein Datenvolumen habe ich allerdings für eine sehr enttäuschende erste Halbzeit geopfert und da die Chance auf den Olympiasieg schon nach 10min quasi gegen Null geht, schalten wir den Laptop in der Halbzeitpause aus, packen unseren Kram zusammen und machen uns auf den Weg. Es ist extrem heiß und unsere Motivation, in die dicken Hochtourenstiefel zu schlüpfen, ist ungefähr so hoch wie die deutsche Trefferquote. Da wir nördlich von Hinterbichl parken, um den Abstieg am Mittwoch zu verkürzen, müssen wir heute erstmal ein Stück talauswärts und dann bei Ströden wieder rein ins Maurertal laufen. Das geht doch eigentlich auch in Adiletten…. 😏 Gesagt getan!




Am Eingang ins Maurertal gibt es am Kletterwald einen kleinen Kiosk mit einer Eistruhe. Bei dem Wetter kam das gerade recht und wir gönnen uns noch ein Kaktus-Eis am Stiel. Das hier entstandene Foto ist eines meiner absoluten Lieblingsbilder. Lila Seil, Steigeisen, Eispickel und Helm am Rucksack, Adiletten an den Füßen, Bergstiefel noch über den Rücken gehängt und Kaktus in der Hand – ein Bergsommer-Moment, wie er besser nicht sein könnte. ♥
Als der Pfad dann zunehmend steiniger und steiler wird, tauschen wir die Schlappen dann doch noch gegen die Bergstiefel – mit dem Fuß nach hinten rauszurutschen ist dann irgendwann unangenehmer als schwitzen. Der Weg selbst und vor allem der Ausblick wird gegen Ende immer und immer schöner. Die Essener-Rostocker-Hütte liegt wunderschön auf 2.208m und ist mir von einer vorherigen Tour sehr positiv in Erinnerung, vor allem wegen des Frühstücksbuffets. Schade daher, dass wir genau dieses in voller Gänze am nächsten Morgen wohl verpassen werden.
Tag 2 – Ein Gipfel für uns alleine
4:30 Uhr zeigt die Uhr am nächsten Morgen, als ich die Vibration an der Garmin wegdrücke. (Auf gar keinen Fall stellt man sich um diese Uhrzeit einen lauten Handywecker im Matrazenlager!!) Freiwillig stehe ich um diese Zeit normalerweise nicht auf, aber am Berg ist das irgendwie eine andere Sache. Nichts mag ich lieber als die frühen Morgenstunden, wenn die Natur gerade erst erwacht, der Berg noch so leise ist und das Licht die ganze Szenerie in eine magische Atmosphäre taucht. Magische Wunder vollbringt aber vor allem erstmal der Kaffee und das leckere, hausgebackene Brot, das es auch schon früh morgens am Buffet gibt.
Neben Sophie und mir frühstückt noch eine andere Gruppe mit ihrem Bergführer. Die Gruppe startet jedoch eine Weile vor uns und so sind wir im Lichtkegel unserer Stirnlampen ganz für uns. Da wir zwei Nächte auf der Hütte bleiben, können wir das Übernachtungsgepäck im Lager lassen und kommen mit etwas leichterem Rucksack zügig voran. Unser Ziel ist die östliche Simonyspitze auf 3.448m, ein objektiv nicht besonderes schwieriges Hochtourenziel, für das aber dennoch immerhin 1.250 Hm und etwas Kletterei im zweiten Grad überwunden werden wollen. 2021 wollte ich hier gerne auch schon rauf, damals spielte das Wetter leider gar nicht mit. Heute haben wir einen super schönen Morgen, aber man kann dennoch schon erahnen, dass viel Feuchtigkeit in der Atmosphäre ist – für den Nachmittag sind Gewitter vorhergesagt, daher auch unser früher Start.



Die ersten Schneefelder sind noch unproblematisch, das haben wir auch im Fernglas am Abend zuvor so eingeschätzt. Dass allerdings keine Spuren vor uns drin sind, wundert uns doch kurz. Die andere Gruppe ist vor uns gestartet, aber scheinbar haben sie ein anderes Ziel. Wir steigen zügig bergauf und fast sieht es so aus, als sei der Gipfel zum Greifen nah – der Höhenmesser auf der Uhr holt uns jedoch zurück auf den Boden der Tatsachen, da wartet noch ein Stück Arbeit auf uns. Die wiederum gestaltet sich aber so abwechslungsreich und genussvoll, dass es gut und gerne noch ein bisschen dauern darf. Wir haben das Seil zwar dabei, brauchen es aber in diesem Gelände nicht. An der ein oder anderen Stelle ist der Grat sehr bröselig und sandig, aber immer an den wirklich kritischen, ausgesetzten Stellen finden wir griffigen, festen Fels. Die Schlüsselstellen sind (für uns) Mitte August die Übergänge von Firn auf Fels und andersrum.
Mit Sophie am Berg unterwegs zu sein ist unglaublich leicht. Wir ergänzen uns in den wichtigen Momenten perfekt, vertreten zu ganz vielen Themen ähnliche Einstellungen und Werte und haben die gleiche Auffassung von dem, was uns beim Bergsteigen wichtig ist: weniger Vergleichen, mehr Genießen, weniger Konsum, mehr „selber schaffen“, weniger Leichtsinn, mehr Sicherheit. Unsere gemeinsamen Mädels-Touren gehören für mich zu den absolut Schönsten! ♥





Das letzte Eisfeld bis zum Gipfel ist unschwierig, aber inzwischen tatsächlich größtenteils blank und so brauchen wir kurz vor dem Ziel doch noch die Steigeisen. Wir haben den ganzen Berg heute für uns, machen ein paar Fotos und gönnen uns dann auf den Felsen unterhalb eine längere Mittagspause mit leckerem Käsebrot vom Frühstücksbuffet. (Auf der Essener-Rostocker-Hütte ist das ausdrücklich erlaubt 😉)
Der Abstieg lief deutlich besser und einfacher als wir im Aufstieg an der ein oder anderen Brösel-Stelle befürchtet haben und wir machen super zügig Meter bergab. Als wir das letzte Schneefeld verlassen und zurück auf dem Pfad sind, treffen wir die Gruppe vom Frühstück wieder, die gerade im Schatten der Felsblöcke Pause macht. Im Gespräch erfahren wir, dass sie eigentlich das gleiche Ziel hatten wie wir, aber einen anderen Weg über den Simonysee und das Simonykees suchten – leider erfolglos. Am Ende fehlte Ihnen dann die Zeit, einen zweiten Anlauf über den Grat zu nehmen und so bleiben wir heute tatsächlich die einzigen am Gipfel.



Den Nachmittag verbringen wir auf der Terrasse der Hütte, gönnen uns zur Feier des Tages einen Aperol Spritz und eine Dusche und freuen uns, dass das Gewitter erst am Abend kommt. Beim Abendessen setzen wir uns zu der Gruppe und verbringen einen netten Abend gemeinsam. Mir fällt wieder mal auf, wie sehr der Kontext und die „eigene Bubble“ auch die eigene Wahrnehmung verzerrt. Unter BergsteigerInnen ist die östl. Simonyspitze eine leichtere Tour und keine besondere Leistung. Für die Gäste des Bergführers war es dagegen eine riesige Sensation, dass wir zwei Mädels da heute alleine oben waren und wir wurden regelrecht ausgequetscht, woher wir das denn könnten und wie wir dazu gekommen seien. Im Gegenzug erfahren wir, dass sie noch einen weiteren Tag auf der Hütte bleiben und am nächsten Tag den Großen Geiger als Ziel haben. Wir drücken Ihnen fest die Daumen, dass es für einen Gipfelerfolg reicht und verabschieden uns dann irgendwann in Richtung Bett. Auch der nächste Tag wird lang, aber das offizielle Frühstück um 7 Uhr (mit Porridge & Rührei 😍) wollen wir gerne noch mitnehmen und schalten danach lieber einen Gang rauf.
Tag 3 – Zipfelmützen-Weg und Timing on point
Nach dem reichhaltigen Frühstück geht es für uns zügig los in Richtung Johannishütte. Dort wollen wir einen kurzen Kaffee-Stop einlegen und dann zum Defreggerhaus aufsteigen. Auch für heute sind wieder relativ früh am Nachmittag Gewitter angesagt. Auf den Schildern sind für unsere Etappe 7h angegeben, aus Erfahrung weiß ich aber, dass das auch zackiger funktioniert. Wir steigen zum Türmeljoch auf und ich denke wieder mal, dass die Hohen Tauern zurecht ein Nationalpark und ein Sehnsuchtsort für viele Menschen sind. Für mich gehört dieses Stück Alpen zu den schönsten Hochgebirgsregionen der Welt!




Am Türmljoch angekommen, gönnen wir uns einen Riegel und eine kurze Pause, ehe wir entlang des Zipfelmützen-Weges (so haben wir ihn getauft) weiter zur Johannishütte absteigen. An der ein oder anderen Stelle müssen wir auch die Markierungssteine wieder aufstellen und ordentlich befestigen – scheint ganz schön abgehaust zu haben hier. An der Johannishütte bestellen wir uns einen großen Kaffee und füllen unsere Wasserflaschen nochmal auf für Teil zwei des Anstiegs. Nochmal knapp 900 Hm müssen überwunden werden, am Ende stehen doch 1.500 Hm auf der Uhr (mit schwerem Hochtourenrucksack merkt man die nochmal anders als mit Tagesgepäck).
Der Weg Richtung Defreggerhaus zieht sich gegen Ende dann doch ein bisschen und wir sind froh, als wir die Rucksäcke an der Hütte endlich absetzen und uns ein Bier bestellen können. Pünktlich als wir mit unserem Kaltgetränk im Liegestuhl Platz nehmen, hören wir in der Ferne das erste Donnergrollen. Wir sind froh, dass wir aus den angegebenen 7h Gehzeit nur 5h gemacht haben und nun schon im Trockenen sitzen können. Im Aufstieg haben wir zwei Mädels getroffen und nach den Bedingungen am Gletscher gefragt. Mitte August ist die Spaltensituation laut den beiden schon recht angespannt und aufgrund der momentan sehr heißen Temperaturen empfehlen sie uns einen frühen Start und geben uns den Tipp, dass die Hütte auf Anfrage auch Thermo-Frühstück bereitstellt. (d.h. niemand vom Hüttenteam muss aufstehen und es steht Müsli & Kaffee in Thermoskannen nachts bereit). Mit dieser Option im Hinterkopf planen wir unsere Tour und gönnen uns am Nachmittag noch einen Power-Nap.



Für’s Abendessen stehen Namensschilder auf den Tischen und als Sophie im Speisesaal unseren Tisch sucht, passiert das, was immer passiert, wenn wir als Mädels-Seilschaft unterwegs sind. Wir sitzen am Tisch mit zwei Männern und während ich noch meinen Rucksack im Zimmer packe und mich sortiere, geht Sophie schon mal vor. Der klassische Smalltalk-Part läuft wie immer: „Wo kommt ihr her?“, „Wo geht ihr morgen hin?“… Offenbar waren die beiden Männer aber der festen Überzeugung, dass „Sophie 2“ auf dem Schild bedeutet, dass gleich auch ihr Partner nach unten kommt. Als ich den Speisesaal betrete und mich zu den dreien setze, wandert der Blick von Sophie zu mir zurück zu Sophie und dann folgt die klassische Frage: „Und wo ist euer Bergführer?“. 😡
Ich weiß nicht, woran es liegt und möchte das hier auch nicht pauschalisieren. Aber nein, Sophie und ich brauchen keinen starken Mann, der uns am Berg begleitet und wir Frauen brauchen auch keinen Ratschlag ala „Passt aber auf, wenn ihr auf den Großvenediger geht. Das ist ein Gletscher. Da hat’s Spalten“. Wow. Danke! Gut, dass das nochmal jemand gesagt hat, war uns gar nicht so bewusst… 😐 *Ironie off* Den restlichen Abend hören wir uns also die Heldengeschichten der beiden an, die laut ihren Angaben heute die Venedigerkrone in Rekordzeit abgespult haben. Ich möchte nicht abstreiten, dass die beiden bergsteigerisch ordentlich was auf dem Kasten haben, aber an einem Schwanzvergleich ala „Wir waren schon da, ihr auch? Wir haben schon dieses und jenes gemacht, ihr auch?“ haben wir beide einfach überhaupt kein Interesse.
Als dann nach und nach die Bergführer der anderen Gäste eintreffen (der Großvenediger ist DIE Einsteiger-Hochtour und entsprechend von jeder Seite stark frequentiert), ist unsere Entscheidung getroffen. Wenn es ab 6 Uhr Frühstück gibt, wollen wir schon lange unterwegs sein und den Massen entfliehen. Entsprechend früh stellen wir den Wecker und verkrümeln uns ins Zimmer. Unsere beiden Zimmernachbarn sind zum Glück noch nicht da und so können wir den Abend noch nutzen, die Spaltenbergung / Selbstrettung in einer Zweierseilschaft am Bettpfosten nochmal aufzubauen und durchzuspielen. #übungmachtdenmeister
Tag 4 – Sprachlosigkeit, Emotionen & ein Marmeladenglas-Tag
3:45 Uhr, der Wecker reißt mich aus dem Tiefschlaf und trotzdem bin ich sofort hellwach. Die Abläufe morgens auf einer Hütte sind mir inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Hinsetzen, Ohropax raus, Decke falten, Hüttenschlafsack in die Hülle stopfen, aus dem Zimmer schleichen. Die Rucksäcke haben wir am Abend schon gepackt und samt unseren Klamotten vor der Tür deponiert, damit wir morgens so wenig Lärm als möglich machen.
Beim Frühstück sind wir ganz allein und Sophie ist (auch wenn es erst 4 Uhr morgens ist) ungewöhnlich ruhig. Sie hat ziemliche Knieschmerzen und wir besprechen unsere Optionen. Noch eine Sache, die ich bei gemeinsamen Touren so sehr schätze und die in meinen Augen auch unverzichtbar ist: Ehrlichkeit. Wenn es einem Teil nicht gut geht, betrifft das alle und im Zweifel auch die Sicherheit der ganzen Seilschaft. Nicht selten war ich selbst in der Situation und verstehe zu gut, wie sie sich fühlt. Wir vereinbaren, dass wir es einfach ohne Zwang probieren und ich erstmal die schwereren Sachen trage, um ihr Knie zu entlasten. Vieles können wir sowieso im Schuhraum der Hütte deponieren, da wir den gleichen Weg zurück nehmen. Wenn es nicht geht, dann ist das so und auch vollkommen in Ordnung. Rechtzeitiges Umdrehen gehört genauso zum Bergsteigen wie der Gipfelerfolg.



Im Schein unserer Stirnlampen treten wir aus der Hütte und es ist um 4:30 Uhr morgens schon viel zu warm für knapp 3000m. Ich bin ganz froh, dass ich diesen Weg zum Gletschereinstieg schon 2x gegangen bin und zusätzlich einen GPS-Track auf der Uhr mitlaufen habe. Nur im Lichtkegel der Lampe kann man sich hier doch schnell verzetteln. Unserer Planung zufolge sollte es beim Übergang auf den Gletscher bereits dämmern und uns die Orientierung dann deutlich erleichtern. Und tatsächlich, am großen Steinmännchen angekommen wird es langsam heller, wir steigen ein paar Stahlstufen hinab und legen unten die Steigeisen an. Das Seil haben wir am Vorabend bereits entsprechend vorbereitet, Bremsknoten und Markierungsknoten für den richtigen Abstand vorbereitet und sparen uns so in der Dämmerung Zeit.
Der Morgen ist wunderschön und wir genießen die Ruhe sehr. Ich gehe vorne und teste mit meinem Stock jede Schneebrücke über den Gletscherspalten noch ein Stück vorsichtiger als sonst. In einer Zweierseilschaft sollte man einen Sturz tunlichst vermeiden – zu groß ist die Mitreisgefahr. Das ein oder andere Mal breche ich mit dem Stock mehrfach komplett durch (und das morgens um 6 Uhr!), da hilft dann nur ein beherzter Sprung. Noch geht es ganz gut, aber die Schneedecke ist um diese Uhrzeit schon sehr weich und wir sind froh, früh gestartet und damit auch früh wieder runter vom Gletscher zu sein.
Am Rainertörl auf dem oberen Keesboden machen wir eine kurze Pause, trinken einen Schluck und stärken uns für den verbleibenden Aufstieg mit einem Riegel. Hier kommen auch die Routen von der Kürsingerhütte und der Neuen Prager Hütte dazu, aber wir sind um diese Uhrzeit weiterhin alleine. Der Blick von hier oben ist einfach gigantisch schön:

Der Großvenediger ist für mich auch deshalb ein ganz besonderer Berg, weil ich hier 2016 meine erste Hüttentour mit Timo gewandert bin. Damals habe ich aufgrund von Blasen frühzeitig abbrechen müssen und an der Johannishütte ehrfürchtig den Bergsteigern hinterher geblickt, die mit Seilen und Eispickeln Richtung Defreggerhaus gestiefelt sind. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich 8 Jahre später Wandergruppen durch die Alpen führe und einmal selbst hier mit Seil auf dem Gletscher unterwegs sein würde – ich hätte vermutlich nur gelacht.




Für sentimentale Gedanken ist jetzt aber noch keine Zeit, noch brauchen wir volle Konzentration im Hier und Jetzt. Sophies Knie macht erstaunlich gut mit und wir entscheiden, weiterzugehen. An den letzten Firngrat kann ich mich noch gut erinnern, 2021 habe ich hier gar nichts mehr gesehen. Heute ist es ein purer Genuss, ein traumhafter Ausblick und ein wilder Mix an Emotionen, der sich in mir breit macht. Um 7:30 Uhr stehen wir dann am Gipfel des Großvenedigers auf 3.666m. Wir haben diesen Moment ganz für uns alleine, niemand anderes ist an einem Traumtag wie heute mit uns hier oben. Dieses Glück hat man an einem so beliebten Berg nur ganz ganz selten. Ich kann nicht anders, all die Emotionen müssen raus und mir laufen die Tränen über’s Gesicht, während Sophie und ich uns in den Armen liegen. Mit niemand anderem möchte ich diesen Moment gerade lieber teilen ♥




Vielleicht sind unsere Mädels-Touren auch gerade deshalb so schön, weil man ständig unterschätzt wird. Am Ende trotzdem oben zu stehen, gleichberechtigt unterwegs zu sein und die Verantwortung in kritischen Momenten nicht unbewusst automatisch abzugeben, das macht es für mich besonders. Wir kosten den Gipfelmoment aus, gönnen uns fast die gesamte Tüte „Katjes Wunderland sauer“ und haben einen grandiosen Rundumblick von den Dolomiten bis zu Sophies geliebter Kampenwand. So langsam verabschieden wir uns dann vom Gipfel und machen uns an den Abstieg. Unterhalb des Rainertörls begegnen uns dann nach und nach die ersten Seilschaften im Aufstieg. Von „Stark Mädels, ihr seid ja Frühaufsteher“ bis zu „Oh, was ist passiert, dass ihr umdrehen musstet?“ war mal wieder alles an Kommentaren dabei. Den Vogel abgeschossen hat dann jedoch ein Mann zurück an der Hütte, der gefragt hat, ob wir auch sicher seien, am Großvenediger und nicht aus Versehen am Rainerhorn gewesen zu sein. Jo, Karte lesen können wir dann grad noch 😉
Aber egal, an einem Tag wie diesem, versaut mir nichts die Laune. Das breite Grinsen ist festgetackert und beim zweiten Kaffee im Liegestuhl vorm Defreggerhaus ist die Welt für einen Moment komplett im Gleichgewicht. Wir packen unsere restlichen Sachen zusammen, wechseln in die kurze Hose und steigen zur Johannishütte ab. Im Aufstieg begegnet uns die Gruppe von der Essener-Rostocker-Hütte wieder und wir geben dem Bergführer kurz ein Update zu den Bedingungen und den Tipp des Thermofrühstücks mit auf den Weg. Wie schon auf der Hütte war auch dieses Gespräch total auf Augenhöhe und eine willkommene Abwechslung nach den seltsamen Kommentaren der vergangenen 24h.


Auf der Johannishütte angekommen, gibt es endlich die fette Portion Pommes mit Mayo, auf die ich mich schon den gesamten Abstieg gefreut habe. Der Weg von hier bis zum Auto zieht sich endlos, aber irgendwann ist der Bus in Sicht und mit ihm auch endlich wieder andere Schuhe! Wir verräumen unseren Kram, holen uns unterwegs im Supermarkt noch ein Eis am Stiel (runde Sache, von Eis am Stiel zu Eis am Stiel 😉) und fahren bis zu Sophies Mama nach Prien. Wie könnte man diesen Tag auch besser beenden, als mit Pizza, Aperol Spritz und einem Sprung in den Chiemsee. Beim Planschen im kühlen Nass haben wir einen schönen Blick auf die Kampenwand. Verrückt, dass wir sie 12h zuvor noch von der ganz anderen Seite gesehen haben.
Fazit
„Es gibt gute Bergtage. Es gibt richtig gute Bergtage. Und es gibt diese ganz besonderen, perfekten Bergtage, an denen einfach alles stimmt.“ So habe ich unsere Tour am Abend auf Instagram geteilt. Und auch über ein halbes Jahr später hat dieser Tag bzw. diese Tage einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen! 💛 Nicht, weil der Großvenediger der schwierigste, höchste, anspruchsvollste Gipfel war – sondern weil ich mit der richtigen Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein durfte! DANKE ✨