Vom Watzmann zu den Drei Zinnen – Juli ’25
Vom Watzmann zu den Drei Zinnen – Juli ’25

Vom Watzmann zu den Drei Zinnen – Juli ’25

Vom Watzmann zu den Drei Zinnen – Juli ’25

Im Juli 2025 führte ich zum Start in die Sommersaison meine vierte Watzmann – Drei Zinnen Tour für Alpine Welten, dieses Mal wieder in einer Doppelgruppe mit Timo.
Warum diese Tour eine der eindrücklichsten Alpenüberquerungen für mich war, wie viel Schnee es am Ende wirklich gab und was es mit „More Passion, more Energy, more Footwork! auf sich hat – darum geht es in diesem Blogbeitrag (der zugegebenermaßen eher ein Kurzroman geworden ist 🙈)
Ganz viel Freude beim Lesen wünsche ich dir. Und falls du danach auch so richtig Lust bekommen hast, dich an das Abenteuer Alpenüberquerung zu wagen, dann schau gerne bei unseren Touren vorbei.
Lesedauer: ca. 30min

Inhaltsverzeichnis:

  • Treffpunkt
  • Tag 1 – Aufstieg zum Ingolstädter Haus
  • Tag 2 – Durch’s Steinerne Meer und ins Käfertal auf die Trauner Alm
  • Tag 3 – Über die Pfandlscharte zum Glocknerhaus
  • Tag 4 – Durch’s Leitertal und über die Glorer Hütte zum Lucknerhaus
  • Tag 5 – Über das Villgrater Törl nach Bad Kalkstein
  • Tag 6 – Auf’s Toblacher Pfannhorn und hinein in die Dolomiten
  • Tag 7 – Zu den Drei Zinnen und Abstieg durchs Fischleintal
  • Fazit

Anreise & Treffpunkt 

Samstag, 05. Juli 2025 – Campingbus vor dem Büro

Timo & ich sitzen in unserem kleinen Campingbus in Berchtesgaden und machen Brotzeit zum Abendessen. Am Morgen waren wir noch mit meinen Eltern frühstücken und haben dann last minute die letzten „Brauch ich sicher auch“-Dinge in die Euroboxen in unserem Kofferraum gestopft. Für die nächsten fünf Wochen sollten wir jetzt alles dabei haben, vorher kommen wir nicht mehr nach Hause nach Nürnberg. Der Bergsommer geht nämlich ENDLICH los!

Erstmal müssen wir aus diesem Chaos aber nun noch unsere Rucksäcke für die kommende Woche packen und obwohl wir das beide inzwischen sicher 257x gemacht haben, hab ich doch jedes Mal das Gefühl „irgendetwas fehlt“. (Die Gummibärchen sind es in jedem Fall mal nicht, das habe ich schon gecheckt ;)) Auch wenn aktuell der Himmel klar ist – für die kommende Woche sind viel Niederschlag, sinkende Temperaturen und in drei Tagen sogar Neuschnee in den Bergen angekündigt. „Toller Start in den Sommer“ denke ich leicht frustriert und versuche mich selbst wieder daran zu erinnern, dass die Berge bei jedem Wetter wunderschön sind und auch ein nasser Tag am Berg besser ist als ein sonniger im Büro. 😉

Was mir aber tatsächlich Sorgen bereitet, ist die Wetterprognose für den kommenden Tag. Bereits ab dem Mittag sind mit der aufziehenden Kaltfront auch Gewitter gemeldet. Ich verfolge verschiedene Wetterberichte bereits seit Tagen und auch wenn die Prognose leicht besser geworden ist – ein gutes Bauchgefühl habe ich noch nicht. Ich starte dieses Mal nicht klassisch am Königsee und dem Kärlingerhaus, sondern steige mit der Gruppe zum Ingolstädter Haus im Steinernen Meer auf. Hier oben gibt es keine gute Möglichkeit mehr, bei Gewitter Schutz zu suchen. Und weil ich die Gruppe auch noch nicht kenne und nicht einschätzen kann, wie schnell wir die knapp 1.300Hm bewältigen können, habe ich mich am Nachmittag dazu entschieden, ein Bergsteigertaxi vorzubestellen, dass uns 500Hm & ~1,5h Forststraße spart. Die Kosten muss die Gruppe leider selbst tragen und entsprechend schwer habe ich mich mit der Entscheidung getan. Aber: Safety first! Immer!

Am nächsten Morgen treffe ich bereits früh um 7:45Uhr auf die Gruppe und auch auf ein paar bekannte Gesichter. Jürgen und Stefan waren bereits im vergangenen Jahr mit mir auf der Zugspitze und ich habe beide (Vater & Sohn) als extrem angenehme und unkomplizierte Gäste in Erinnerung. Auch Jannika war im letzten Jahr mit mir schon auf einer späteren Tour an der Zugspitze unterwegs und zählt für mich zur Kategorie „Manchmal passt’s einfach auf Anhieb“ – auf unser Wiedersehen freue ich mich also schon eine ganze Weile! Markus, ein Kollege von Siemens, ist dieses Jahr auch dabei, nachdem wir in der Vergangenheit immer wieder im Büro über sein Vorhaben gesprochen haben und er nun endlich grünes Licht von zuhause bekommen hat (liebe Grüße Nadya 😉). Auch die restlichen TeilnehmerInnen trudeln so langsam ein und wir gehen gemeinsam nochmal den Rucksack-Inhalt durch, bevor wir uns endlich auf dem Weg machen. Los geeeeeht’s! 🥳

Tag 1 – Timing on point 

Die Sonne scheint und es ist bereits am Vormittag sehr warm an diesem Tag. Entsprechend irritierte Blicke habe ich bei der Frage nach Mütze & Handschuhen im Rucksack geerntet. Aber der Schnee kommt noch – so viel kann ich schon mal spoilern. Mit Linienbus und Wanderbus geht es erstmal über die Landesgrenze nach Österreich und mit dem Bergsteigertaxi rauf bis kurz vor den Dießbach-Stausee. Hier geht es nun endlich zu Fuß los und erstmal ist das Gelände einfach und flach, ideal zum Einlaufen also. Empfang gibt es hier oben nicht mehr und ich freue mich sehr, einen Teil meines Trinkgelds der letzten Jahre in ein Garmin inReach investiert zu haben. Zu wissen, dass ich jederzeit einen Notruf absetzen könnte, beruhigt mich ungemein.

Wetterberichte bzw. Radarkarten am Handy kann ich nun nicht mehr aktualisieren – im Gelände ist man dann eben auf die eigene Erfahrung beim Blick in den Himmel angewiesen. Und der ist gerade noch extrem vielversprechend und strahlend blau. Zu viel Zeit für Pausen nehmen wir uns dennoch nicht, die gemütliche Mittagspause gibt’s erst oben an der Hütte. Wir kommen gut voran, der Weg ist wenig begangen, ruhig und gefällt mir extrem gut. Als uns eine Familie entgegen kommt und mit den Worten „Ach ihr seid die große Gruppe, ihr werdet auf der Hütte schon erwartet“ begrüßt, ist es nicht mehr weit. Mit den ersten dunkeln Wolken, die von Westen aufziehen, kommt auch das Ingolstädter Haus ins Blickfeld und ich entspanne mich – das geht sich aus!

Aus geht sich sogar noch eine späte Mittagspause auf der Hüttenterrasse, bei der man einen wunderschönen Weitblick ins Steinerne Meer hat. Als wir fertig gegessen haben beginnt es zu tröpfeln und wir ziehen um nach drinnen und beziehen unsere Zimmer. KNALL. Der Blitz schlägt in die Hütte ein und so einen Knall habe ich lange nicht mehr gehört. Spätestens jetzt sind die zusätzlichen 15€ für’s Taxi vergessen und Jannika bringt es auf den Punkt „Uff. Da wären wir jetzt noch draußen gewesen oder?“ – Ja, wären wir. Das wäre verdammt knapp geworden und ich bedanke mich bei meinem Bauchgefühl, auf das echt Verlass ist.

Wir genießen den gemütlichen Nachmittag und widmen uns dem gegenseitigen Kennenlernen und einer ersten Runde Schnauz. Dank meinem inReach weiß ich inzwischen auch, dass Timo trotz Gewitter gut am Kärlingerhaus angekommen ist und kann mich beruhigt der Gruppe widmen. Die Stimmung ist ziemlich gut und ich freu mich wieder mal darüber, dass es bei dieser Tour am ersten Abend keinen Handyempfang gibt und die Gespräche somit ganz natürlich intensiver sind (ohne die Möglichkeit, kurz mal was zu googlen).

Für das Abendessen sieht die Option hier folgendermaßen aus: Hauptgericht ala Carte und dazu gibt es jeweils entweder eine Vorspeise oder eine Nachspeise (bei den Portionsgrößen auch vollkommen ausreichend!). „Wenn ihr euch alle für die Nachspeise entscheidet, würden wir ausnahmsweise eine große Pfanne Kaiserschmarrn für euch machen“ – JAA! Die Entscheidung ist einfach. Aus der angekündigten Pfanne werden gleich zwei riesige und obwohl wir alles geben, bleibt mind. eine 3/4 Pfanne übrig, die wir zur großen Freude des Nachbartischs dann weitergeben. Am Ende ist die Pfanne durch die halbe Hütte gewandert und wir hatten sehr viele neue Freunde. 😉

Tag 2 – nass, kalt, grau und viele Steine 

Beim Frühstück am nächsten Morgen wandert mein Blick immer wieder nach draußen. Wirklich einladend sieht es nicht aus, aber es hilft ja nichts. Auch wenn ich hier oben keinen Empfang habe, ein Gespräch mit dem super netten Hüttenteam hilft immer und ich darf nochmal einen Blick auf deren Wetterbericht werfen. Also gut, volle Regenkombi an, raus und hoffen, dass die Prognose stimmt und der Regen über den Vormittag deutlich nachlassen soll. Dick eingepackt wie die Gummibärchenbande stiefeln wir also um 7:30Uhr los.

Das steinerne Meer ist bei diesem nebelverhangenen, regnerischen Wetter nochmal mystischer als sowieso schon und irgendwie mag ich die Stimmung sehr. Wir kommen trotz der Bedingungen gut voran! Vorsichtig & aufmerksam gehen ist hier trotzdem oberstes Gebot. Das Kalkgestein ist links und rechts des Weges z.T. extrem scharfkantig und ein kleiner Stolperer kann schmerzhaft enden. Sogar ein kleines Altschneefeld queren wir in diesem Abschnitt noch. „Ach, deshalb haben wir die Grödel dabei, stimmt’s?“ kommt ein neckischer Kommentar von hinten. „Wartet nur ab, die brauchen wir morgen mehr als ihr glaubt“ (Und mehr als ich selbst zu diesem Zeitpunkt glaubte).

Auch den ein oder anderen Alpensalamander sehen wir zu meiner großen Freude. Die kleinen (unter Artenschutz stehenden) Tierchen sind für mich ein Symbol geworden, dass jeder noch so (objektiv) greislige Tag am Berg seine ganz eigene Schönheit entfalten kann, wenn man nur genauer hinsieht. Die Info, wie genau das Tier heißt, ist bei Georg offenbar nicht ganz angekommen – aus dem Alpensalamander wird ein Alpensashimi und im weiteren Verlauf der Woche wird das Alpensalamander-Sashimi zu einem geflügelten Wort innerhalb der Gruppe.

Sashimi gibt es bei unserer wohlverdienten Mittagspause zum Glück nicht, dafür aber eine heiße Suppe im wunderschönen neuen Gastraum des Riemannhauses. Zu meiner großen Freude ballert der Trockenraum ordentlich und wir können unsere gesamte Regenkombi komplett trocknen. Innen im Gastraum treffen wir dann auch auf Timo und seine Gruppe, so wie die beiden Gruppen der Kleinwalsertaler und Oberstdorfer Bergschulen, die bereits den weiteren Abstieg antreten. Vom Kärlingerhaus kommend sind sie meist etwas früher da und so ist inzwischen auch wieder Platz drinnen. Timo lässt sich noch etwas Zeit, wir haben ein gemeinsames Taxi für beide Gruppen vorbestellt und so haben sie keine Eile.

Der Abstieg vom Riemannhaus ist eine der Schlüsselstellen der gesamten Alpenüberquerung. Ein ganzes Stück lang geht es sehr ausgesetzt, aber auch sehr gut mit Drahtseilen und Trittstufen gesichert bergab. Ein Fehltritt hier kann trotzdem böse enden, daher plane ich für diesen Abschnitt (gerade bei so nassen Bedingungen wie heute) gerne etwas mehr Zeit ein. Die brauchen wir auch, Jürgen und Georg kämpfen ein wenig mit ihren Knien und Markus vor allem mit sich selbst und seiner Höhenangst. Wir hatten bereits vor seiner Buchung darüber gesprochen und ich hatte ihn vorgewarnt, dass das vermutlich die Schlüsselstelle für ihn werden würde. Direkt hinter mir, mit beiden Händen am Drahtseil und dem Blick immer zur Felswand (und nie nach unten) verschiebt er seine eigenen Grenzen hier mutig Stück für Stück! Bei jeder Kurve führe ich seine Hände mit meinen wieder an das nächste Drahtseil und coache ihn Schritt für Schritt bergab. Als wir endlich unten auf den breiten Fahrweg an der Talstation der Materialseilbahn wechseln, sind wir beide ordentlich stolz darauf, wie gut das alles geklappt hat! 💪

Zur Belohnung sehen wir sogar noch einen Steinadler über uns kreisen und der „Alpentiere“-Counter steigt auf zwei. Der restliche Weg ist unspektakulär und zieht sich. Wir sind allesamt froh über die Pause im Taxi und nutzen die Zeit, die andere Gruppe etwas zu beschnuppern. Gemeinsam geht es dann vom Talende des Käfertals noch ~45min bergauf zur Trauneralm, wo wir den langen Tag sogar kurz im Trocknen draußen bei einem Radler ausklingen lassen und Oli, der hier wieder zu uns stößt, von unseren Erlebnissen der vergangenen zwei Tage berichten. Jessy und Oli haben sich gemeinsam zu dieser Alpenüberquerung angemeldet, doch leider hat sich Oli kurz vorher am Knie verletzt und sich die langen Abstiege so nicht zugetraut. Da die beiden im Anschluss der Tour jedoch gleich weiter Richtung Süden fahren wollen, entschied Oli sich, uns mit dem Auto hinter her zu fahren und am Nachmittag jeweils zu uns zu stoßen. Da außer dem Ingolstädter Haus alle Unterkünfte gut mit dem Auto bzw. einem kurzen Zustieg erreichbar sind, bietet sich diese Lösung wirklich an und ich freue mich, dass die beiden so zumindest abends dieses Erlebnis teilen können.

Die Trauneralm selbst ist ein absolutes Highlight und ich mag die Einfachheit und die Ruhe, mit der Sissi den 1890 gebauten Alpengasthof bewirtschaftet. Getränke gibt es draußen im Brunnen zur Selbstbedienung, gezahlt wird am Abend auf Vertrauensbasis. Auch die lange Schlange an der einzigen Dusche gehört einfach zum Erlebnis dazu und spätestens hier hat man genug Zeit, auch mit den anderen Gruppen ins Gespräch zu kommen. Jannika beginnt kurzerhand auf ihrem Handy die Duschzeit mit zu stoppen und im Kampf um den Highscore und Tagessieg motivieren wir den ein oder die andere zu etwas Geschwindigkeit 😉

Tag 3 – More Passion, more Energy, more Footwork! 

Meine Nacht war leider kein Highlight – gegen die laut quietschende Toilettentür, die gefühlt im 2min-Takt ging und direkt neben unserem Zimmer lag, halfen auch meine Ohropax kaum. Ein erster Blick nach draußen macht mich allerdings schlagartig wach. Fuck! Das hat aber deutlich weiter runter geschneit als gemeldet. Dass Schnee kommen würde, war recht klar gemeldet und ist für den oberen Abschnitt manchmal sogar angenehmer als im harten Altschnee bergauf zu steigen. Aber dass es bereits auf ~1.800m weiß ist, überrascht mich nun doch etwas. Das wird spannend! Am Abend zuvor haben wir uns mit den beiden anderen Guides abgestimmt und vereinbart, dass Timo und ich zuerst starten, Marius mit seiner Gruppe ~15min später startet und Julian gemütlich als letzter aufbricht.

Meine Gruppe ist super pünktlich und so bleibt mir quasi keine andere Wahl, als (wieder in volle Regenmontur gepackt) loszugehen. Oli verabschiedet sich, er wird sich einen gemütlichen Spa-Tag gönnen. Joa, fände ich per se beim Blick nach oben auch nicht so verkehrt. Stattdessen sammle ich all meine positive Energie und verpacke sie in eine Motivationsrede zum Start. „Das wird eklig, das wird kalt und wir werden frieren. Aber das ist nur Wasser von oben. Wir werden wieder trocken und uns wird wieder warm. Heute Nachmittag bei einer heißen Schoki am Glocknerhaus lachen wir drüber. Aber das wird der Tag, von dem ihr in Jahren noch erzählen werdet. Das wird ein Abenteuer heute!“ Na hoffentlich behalte ich recht und alles geht gut, denke ich innerlich. Nichts anmerken lassen – los geht’s.

Es ist nass und matschig. Und ich beneide Matthias und Florian zugegebenermaßen sehr um ihre Schirme. Vielleicht sollte ich das doch so langsam mal testen… (Spoiler: Habe mir einen Monat später einen Wanderschirm gekauft – Danke, Sommer 2025!) Überhaupt sind die beiden top vorbereitet und ausgestattet und bringen einiges an Erfahrung mit. Beide reihen sich gerne mal ganz hinten ein und für mich ist es ein Segen, dort jemanden zu wissen, auf den ich mich verlassen kann und der im Zweifel mit unterstützt. Wir kommen gut voran, Zeit für lange Pausen ist sowieso nicht, zu schnell kühlt man bei diesem Wetter aus. Arme Gruppe, schon Tag 3 und nie können wir wirklich gemütlich irgendwo sitzen und einen Riegel genießen. Aber niemand, einfach niemand beschwert sich darüber. Stattdessen ist die Stimmung noch immer sehr gut, positiv und motiviert. Davon könnten sich andere Gruppen gerne mal eine Scheibe abschneiden, denke ich. Am Ende jeder Trinkpause kommt der Einsatz von Motivationskünstlerin Jessy. „Leute, ich habe eine Frage. Habt. Ihr. Boooock??“ „JAAA“ brüllen wir zurück.

Ob es daran liegt, dass wir am ersten Tag viel Zeit zum Kennenlernen hatten oder es einfach die einzelnen Charaktere in der Gruppe sind – so schnell wie diese Gruppe zusammengewachsen ist, habe ich selten erlebt. Ich muss grinsen. Der Blick nach vorne sieht alles andere als einladend aus, aber mein Bauchgefühl sagt mir trotzdem: das wird gut! So langsam ist auch der Weg zugeschneit und die Wegfindung wird etwas anspruchsvoller. Ich bin froh, dass ich hier schon häufiger war und bin erstaunt, an welche Details sich mein Gehirn scheinbar erinnern kann. „Ah, der große Felsblock, stimmt. Hier kommt eine scharfe links-rechts Kurve.“ What? Tatsächlich. Irgendwie navigiere ich erstaunlich gut hier durch. Nur einmal muss ich selbst kurz suchen und bin unsicher. Da taucht Timo mit seiner Gruppe hinter uns auf (im gespurten Gelände tun sie sich natürlich leichter und kommen schnell voran). „Passt Tati, da rauf!“ Ich bin wirklich froh, bei diesen Verhältnissen andere Guides hinter mir zu wissen. Im Zweifel gemeinsam entscheiden zu können ist eine ungemeine mentale Erleichterung.

An einer Felsplatte, die von Schnee überzogen und extrem rutschig ist, positioniere ich mich etwas unterhalb und gebe Hilfestellung. Timo versteht sofort und kommt nach vorne, um mir zu helfen. Gemeinsam bringen wir beide Gruppen einzeln und nacheinander sicher drüber. Während ich schon mal weiter gehe, schließt nun auch Marius Gruppe auf und Timo bleibt noch kurz stehen. Ja, jeder von uns trägt Verantwortung für seine eigene Gruppe. Aber unausgesprochen sind wir ab diesem Moment irgendwie drei Guides mit 29 Gästen, die wir gemeinsam sicher zum Glocknerhaus bringen wollen. Als große Gruppe meistern wir Abschnitt für Abschnitt und suchen gemeinsam am Plateau oben den richtigen Weg über die vielen Arme des Baches hinüber zum Einstieg in die letzten 350Hm Anstieg.

Vor dem steilsten Teil des Aufstiegs, der letzten Rinne nach oben zur Pfandlscharte, mache ich normalerweise nochmal länger Pause, um Kräfte zu sammeln und Grödel anzuziehen. Mit knapp 1.300Hm Aufstieg ist dieser Tag der längste und zu diesem Zeitpunkt haben wir bereits einiges an Höhe überwunden. Lange stehen ist heute nur einfach nicht möglich. Es ist inzwischen wirklich kalt geworden, so ziemlich jeder hat nasse Füße und auskühlen darf mir hier niemand. Also nur schnell Riegel essen (Energie muss rein!) und Grödel anziehen. Bislang hatten wir fluffigen Neuschnee auf dem Weg, da hätten die Grödel keinen Mehrwert gebracht. Nun liegt der Neuschnee aber auf einer harten & steilen Altschneedecke und ohne Grödel wäre das ziemlich gefährlich. Ich stopfe mir auch schnell einen Riegel in den Mund, helfe während des Kauens hier und da beim Grödel überziehen und spreche mich nochmal ganz kurz mit Timo ab. Eigentlich wollte er ab hier vorgehen und mich mit dem Spuren ablösen, aber seine Gruppe pfriemelt so lange an den Grödeln rum (absichtlich? 😉) bis ich die Geduld verliere und mich mit Eispickel und meiner hochmotivierten Gruppe bewaffnet wieder in Bewegung setze.

„More Passion, more Energy, more Footwork“ tönt es von Jessy nach vorne und ich nehme den Rhythmus lachend an und spure Schritt für Schritt nach oben. Ich schwitze, gerade das Steilstück unten kostet echt Körner. Aber steil ist geil! Und ich genieße es tatsächlich ein bisschen. Inzwischen sind wir komplett im Whiteout und ich kann nicht mal mehr erahnen, ob der nächste Schritt nach oben oder unten geht. Ich schlage mit meinem Stock in Gehrichtung nach vorne in den Schnee und versuche so, die Hangneigung abschätzen zu können. Auch mein Eispickel leistet mir gute Dienste und ich bin gottfroh, ihn eingepackt zu haben. Thomas geht direkt hinter mir, für sein Alter ist der Freiburger brutal fit! Er erzählt mir fröhlich von Skitouren, bei denen sie ähnliche Bedingungen hatten und sagt häufig „Aber an einem achten Juli hatte ich das auch noch nie“. Mh, ja. Im Sommer fällt häufiger Schnee im Hochgebirge, an das genaue Datum kann ich mich nur selten erinnern.

So langsam kommt garstiger Wind auf und bläst uns die Eiskristalle hier oben unbarmherzig ins Gesicht. Durchhalten! Schritt für Schritt für Schritt. Timo fragt von unten, ob er mich denn mal ablösen solle. Pfff! Das Kreuz in der Scharte muss doch eh gleich da sein! Das schaff ich jetzt auch noch. Man kann sich in dieser Rinne ja quasi nicht verlaufen. Und trotzdem zweifle ich kurz an mir, ziehe beim Gehen einen Handschuh aus und pfriemel mein Handy hervor. Laut Karte sollten wir wirklich gleich oben sein und just in dem Moment tauchen wieder Felsbrocken im sonst 360° weiß auf. Jetzt nur noch einen guten Ausstieg durch die ganzen Felsen finden, dann ist es geschafft und wir stehen am Kreuz. Ein kurzer Jubelschrei, ein Foto im eisigen, pfeifenden Wind und ab nach unten, raus aus dem Zug! Laut Meteoblue hat es hier oben eine gefühlte Temperatur von -7°C und genau so fühlt es sich an.

Pfandlscharte, 2.663m

Timo und ich suchen schnell den Übergang über die fiese Wechte auf der Rückseite der Scharte, spuren das erste Stück vor und stellen uns zu zweit ein Stück unterhalb hin. Marius hilft oben beim Übergang und so meistern wir gemeinsam den ersten Abschnitt, bis wir endlich raus aus dem Wind kurz eine Pause einlegen und in die belegten Brote beißen können. Ab hier übernimmt Timo das nächste Stück und ich genieße es, einer Spur hinterhergehen und kurz durchatmen zu können. Als wir nach dem Gegenanstieg auf die Pause verzichten und uns wieder vorbei schieben, taucht auch bald das Glocknerhaus auf und der Schnee wird weniger.

Von hinten kommt eine Vierergruppe privater Wanderer, die auch mit uns auf der Trauneralm übernachtet hat. Ohne ein Wort überholen sie uns in ihren Trailrunningschuhen und geben Gas. Dass man sich ohne Ortskenntnis hinter den Bergschulgruppen einreiht, kann ich ja irgendwie sogar verstehen. Einer Spur zu folgen, die von über 40 Menschen getrampelt wurde, ist natürlich deutlich einfacher als selbst zu spuren. Aber wenn ich diesen Joker auf privaten Hochtouren mal gezogen habe, gehe ich mindestens danach zum Bergführer oder der Bergführerin und bedanke mich. „Gern geschehen“ rufe ich ihnen hinterher, aber das scheint sie nicht zu interessieren. Ich ärgere mich kurz über die schwindenden Manieren am Berg und schlucke meinen Ärger dann runter. Der Tag war zu abenteuerlich, als dass ihn mir diese vier kaputt machen würden.

Am Glocknerhaus angekommen freue ich mich sehr, Michael wieder zu sehen. Als einzige Konstante freue ich mich jedes Jahr auf Michaels trockenen kroatischen Humor, mit dem er den Service im Griff hat. Die Zimmereinteilung geht fix, so dass alle erstmal ins Warme und Trockene können und aus den nassen Sachen raus kommen. Wir gönnen uns eine heiße Dusche, ziehen trockene Sachen an und treffen uns dann zu Kaffee & Kuchen im Wintergarten, in dem der Ofen schon ballert und wir uns wärmen können. Da der Trockenraum am Glocknerhaus leider kein Highlight und viel zu klein ist, stellt mir Michael ausnahmsweise ein Heizgerät ins Mitarbeiterhaus, so dass wir hier abwechselnd die Innensohlen der Schuhe, Socken und andere nasse Teile trocknen können. Als ich den Meldezettel mit den Namen und Geburtsdaten der Gruppe ausfülle, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. „Schnee an einem 08.07, das hatte ich auch noch nie“ – Warum Thomas das so genau weiß? Heute ist sein Geburtstag. Und zwar einer, der in Erinnerung bleiben wird. 🥳 Wir feiern den ganzen Abend und lachen viel. Work hard, play hard, denke ich. Ein guter Tag!

Tag 4 – Ich will endlich Sommer! 

Die Nacht war kurz. Vor Mitternacht kommt man als Guide am Glocknerhaus quasi nie ins Bett – erst recht nicht, wenn Michael und auch Martin, der sonst oben auf der Salmhütte ist, gute (Trink-)Laune haben 😉 Die ganze Nacht hat der Wind um die Hütte gepfiffen und geheult, so dass ich mich sogar für meine Ohropax entschieden habe. Der erste Blick aus dem Fenster gleicht dem des Vortages – Fuck! Statt des gemeldeten Sonne-Wolken-Mix liegt auf der Terrasse Schnee. Wtf… Als ich unten vom Trockenraum kurz ein paar Meter hinüber zum Privathaus der Angestellten laufe, um meine Socken vom Heizungsgerät zu holen, bläst mich der Wind fast um. Gestern Abend war ich noch zuversichtlich, dass wenn der Schnee langsam wegtaut evtl. sogar der Weg über die Salmhütte „oben rum“ gehen könnte. Bei den Bedingungen ist das ausgeschlossen.

Wir frühstücken erstmal und wollten eigentlich um 8Uhr starten. Marius, Timo und ich beratschlagen kurz und auch Martin unterstützt uns mit aktuellen Infos von der Salmhütte. Schneelage sei okay, aber windig ist es wohl ordentlich. Der Wetterbericht für die Glorerhütte direkt am Berger Törl, über die wir bei beiden Optionen drüber müssen, zeigt aktuell Sturmböen bis 70km/h an. Da schickt man doch keinen Hund vor die Tür denke ich frustriert und wir entscheiden erstmal, den Start auf 9Uhr zu verschieben und sammeln die Gruppen am Kachelofen. Tendenziell soll es im Tagesverlauf besser werden – trotzdem checken wir gemeinsam alle möglichen Optionen. Wenn der Weg „unten rum“ durchs Leitertal und über die Glorerhütte auch keine sichere Option ist, könnten wir evtl. nach Heiligenblut absteigen und uns gemeinsam von einem großen Bus holen lassen. Martin hilft uns und telefoniert für uns herum. (Danke, ich weiß, dass du das liest 🫶🏼)

Gegen 8:30Uhr lässt der Sturm draußen langsam nach und wir entscheiden, dass wir es probieren wollen. Die Glorerhütte als Unterstandsmöglichkeit oben am Joch ist ein guter Fixpunkt und unten im Tal sollten wir zumindest kein Problem mit dem Schnee bekommen. Dieses Mal reihen wir uns hinten ein und lassen Marius und Timo ziehen. Wir sehen uns unterwegs sowieso ständig und überholen uns gegenseitig beim Pause machen. Den Weg durchs Leitertal gehe ich auch zum ersten Mal, bislang war das Wetter auf dieser Etappe immer gut genug für die Variante über Salm- und Glorerhütte. Aber auch Matthias, der die Tour mit Alpine Welten vor ein paar Jahren schon mal gegangen ist, bestätigt: Der Weg ist extrem schön und steht dem Höhenweg in nichts nach! (Außer natürlich der leckeren Einkehr in der Salmhütte!)

Wir kommen wieder sehr gut voran, können auf einem kleinen Plateau sogar kurz mal Pause im Sitzen machen, die Regenklamotten, die wir zu Beginn noch gegen den Wind angezogen haben, ausziehen und dann zeigt sich doch sogar die Spitze des Großglockners kurz. Außerdem entdecken wir auch hier zu meiner großen Freude ein paar Edelweiß, Murmeltiere und ein paar Steinadler fliegen über uns. Hach, die hohen Tauern sind wirklich einfach so wunderschön! Als die Glorerhütte in Sicht kommt, fragt Thomas mich ungeduldig, ob er ausnahmsweise schon vorlaufen und Gas geben dürfe – er möchte testen, ob das auch im neuen Lebensjahr noch klappt. Ich muss schmunzeln, er erinnert mich sehr an meine Mama, die auch die Füße nicht still halten kann, wenn es bergauf geht. Eigentlich ist es mir wichtig, dass wir als Gruppe zusammenbleiben, gemeinsam starten und gemeinsam ankommen. In diesem Fall schicke ich ihn aber guten Gewissens vor – als nachträgliches Geburtstagsgeschenk und damit er schon mal einen Tisch organisieren kann. Dass Speedy Gonzales auf seinem Weg sogar noch die andere Gruppe überholt und in der Hütte ein fettes „Reserviert“ Schild auf den größten Tisch stellt, habe ich nicht kommen sehen, aber dankend angenommen.

Nach dem obligatorischen Schnaps aufs Haus und einem sehr leckeren Mittagessen geht es für uns „nur noch“ bergab zum Lucknerhaus. Und siehe da, es zeigt sich ja sogar ein Stück blauer Himmel ♥ Den haben wir uns sehr verdient und der ist enorm wichtig für die Moral! Der Lacher des Tages sind dann die 3 Fichten-Zapfen, die in der Form der Drei Zinnen in einem Kuhfladen stecken.

Im Lucknerhaus angekommen werden wir wieder mit Schnaps begrüßt und die Stimmung ist gut. Vor allem Markus freut sich seit Tagen auf die groß angepriesene Sauna und hat Hummeln im Hintern. Auch ich schmeiße mich direkt in meinen Bademantel und freue mich nach 3 kalten, nassen Tagen auf ein bisschen Schwitzen. Außerdem ist Marius, der Kleinwalsertaler Guide, Saunameister und für das Spuren gestern hat er mir einen Aufguss versprochen 🥳

In der Sauna sprechen mich vor allem die Frauen aus den Parallelgruppen an und bedanken sich für’s Guiding im Schnee. Ich glaube ihnen (und mir auch) hat es gefallen, dass die einzige Frau unter den Guides die Arbeit übernommen hat. 😎 Ich genieße die Anerkennung und denke, dass mir mein Job gerade an solchen Tagen Spaß macht, an denen ich sehr offensichtlich auch gebraucht werde und einen spürbaren Mehrwert liefern kann. Trotzdem hätte ich so langsam gerne Sommer!

Tag 5 – T-Shirt, ein paar Sonnenstrahlen und Murmeltiere 

Der Abend war lustig und extrem lecker und die Nacht im richtigen Gasthof-Bett sehr erholsam. Das Frühstücksbuffet ist wie immer das beste der Woche und ich genieße den Luxus und koste jede Minute aus. Zum Glück beginnt Tag 5 immer erstmal mit einer Busfahrt, auf der man das reichhaltige Buffet gut verdauen kann. Ansonsten ist es heute endlich trocken und wir können die Regenklamotten im Rucksack lassen.

Der Weg beginnt erstmal sehr steil entlang des Wasserfalls und bringt uns ordentlich ins Schwitzen. Nach dem ersten steilen Teil folgt ein längerer Abschnitt entlang der Forststraße taleinwärts. Für diesen weniger spannenden Weg habe ich mir etwas überlegt. Bereits abends beim Schnauz spielen mit meinen selbst entworfenen Spielkarten (Abschlussprojekt meiner Klimapädagogik-Ausbildung) habe ich die Auswirkungen des Klimawandels auf die Alpen thematisiert. Nun bekommt jeder, der Lust hat, einen Suchauftrag, z.B. „Finde etwas, das weich ist.“, „Finde etwas, das Wasser speichern kann“ usw. Der zweite Teil des Auftrags ist dann „Mach dir Gedanken, wie sich der Klimawandel auf dein gefundenes Element auswirkt, was du beobachten kannst oder von zuhause kennst“. Bei der anschließenden Pause an der Hinteren Stalle sprechen wir gemeinsam über die gefundenen Dinge und auch wenn ich weiß, dass das Thema Klimawandel nicht alle Menschen gleichermaßen interessiert, fand ich es extrem schön, wie sehr sich alle eingebracht und etwas beigetragen haben!

Der zweite Teil des Aufstiegs ist dann wiederum spannender und auf einem schönen kleinen Pfad geht es in vielen Kehren stetig bergauf bis zu unserem heutigen Tagesziel, dem Villgrater Törl auf 2.504m. Oben am Übergang gönnen wir uns eine entspannte Pause (eeeendlich!) und liegen so lange im Gras rum, bis uns dann doch zu kalt wird und wir uns auf den Abstieg zur Unterstaller Alm machen. Das Highlight im Abstieg wartet noch auf uns, direkt vor mir auf dem Weg sitzt ein großes Murmeltier und schaut uns interessiert an. Auch wenn es hier viele Murmelis gibt, so nah bekommt man sie dann doch selten zu Gesicht. Für die Tiere sind die kühleren Temperaturen ideal; Murmeltiere kommen mit der Hitze nämlich nicht so gut zurecht und verlassen dann ihren Bau nur noch früh morgens oder spät abends.

Vor dem letzten Teil des Abstiegs zeigt die Sonne dann richtig, wie Sommer eigentlich geht. Wir genehmigen uns nochmal eine ausgiebige Pause, lauschen dem Surren und Zirpen der Grillen inmitten einer wunderschönen Wildblumenwiese und für eine Weile sagt niemand etwas. Jeder genießt den Moment ganz für sich und hängt seinen Gedanken nach. Und endlich endlich endlich komme ich ein wenig an, in diesem Bergsommer.

Die Unterstaller Alm hat erst seit ein paar Tagen wieder geöffnet und so freuen wir uns sehr, dass wir die Zeit bis zu unserem Taxitransfer hier mit einem Kaltgetränk und einem Stück Kuchen überbrücken können. Während wir draußen sitzen. In der Sonne! 😎 Im Bus heißt es dann für die Nacht Abschied nehmen von Timo und seiner Gruppe. Während wir direkt in Bad Kalkstein übernachten, geht es für die zweite Gruppe raus nach Sillian. Ich bin extrem gerne im Alpengasthof Bad Kalkstein, nicht zuletzt wegen der gigantisch guten Schlipfkrapfen. Hier stimmt einfach alles und wir genießen den Nachmittag mit Aperol Spritz auf der Terrasse. Einzig die Frage, wo mein zweiter Socken abgeblieben ist, bleibt wohl für immer ein Mysterium. Ich habe ja die Katze im Verdacht…

Tag 6 – Hallo Dolomiten 🥹

Oh hallo Sonne! Ein hoffnungsvoller Blick aus dem Fenster bestätigt: die Sonne ist geblieben und der Himmel ist an diesem Morgen strahlend blau! Yippieh. Es ist zwar noch recht kalt, aber aus Prinzip stopfe ich meine lange Hose in den Rucksack und entscheide, dass jetzt Sommer ist. Wir frühstücken ein letztes Mal auf der österreichischen Seite und machen uns dann direkt vom Gasthof zu Fuß auf den Weg nach Südtirol. Ich mag das Villgratental sehr und habe fest vor, im Winter wieder zu kommen. Überhaupt ist diese Etappe insgeheim mein Lieblingstag.

Der Weg startet zunächst etwas öde auf einem breiten Fahrweg an der Bushaltestelle vorbei hinein Richtung Pfanntörl. Wir sind extra früh gestartet, um vor dem Bus hier vorbei zu sein, mit dem die anderen drei Gruppen kommen werden. Leider kommt zeitgleich mit uns ein privater Kleinbus an der Bushaltestelle an, der eine kleine Gruppe Wanderer „auskippt“ und so ist es dahin mit der Stille. Das Tal ist trotzdem wunderschön und einsam und wir nutzen den leichten Weg für nette Unterhaltungen. Am Ende des Fahrwegs wird der Pfad schmaler und auch kurz steiler. Wir queren eine Kuhweide und die Kühe sind irgendwie nervös. Ich versuche ruhig und zielstrebig zu queren, ihnen nicht zu viel Beachtung zu schenken und bin dennoch froh, als wir auf der anderen Seite wieder über den Zaun klettern.

Nach dem steileren Zwischenstück gönnen wir uns eine kleine Pause oberhalb und genießen einen Riegel. (Zu Beginn der Saison genieße ich sie wirklich noch – gegen Ende hab ich sie dann alle gesehen und steige gelegentlich auf Knoppers oder Snickers um, für die Moral 😉) Der letzte Abschnitt bis zum Pfanntörl steigt gemütlich an und oben am Törl darf ich alle in Italien, bzw. genauer gesagt in Südtirol begrüßen. Wir trinken nochmal kurz einen Schluck und als Julian mit seiner Gruppe am Törl auftaucht, machen wir Platz und gehen weiter zum ersten Gipfel auf unserer Tour. Der Abschnitt hier oben am Grat entlang gefällt mir persönlich besonders gut. Auf schmalen Pfaden windet er sich immer weiter bergauf, über mit Flechten überzogenes Schiefergestein. Durch eine letzte Mulde geht es hinüber zum riesigen Gipfelkreuz und dem atemberaubenden Panorama. Der 360° Grad Blick hier oben gehört für mich zu den schönsten auf allen Alpenüberquerungen, die ich kenne. Zum ersten Mal tauchen hier auch die Drei Zinnen am Horizont auf und das Ziel rückt in greifbare Nähe.

Unterhalb des Kreuzes rückt auch die Bonner Hütte ins Sichtfeld, unser Ziel für die Mittagspause. Aber wir haben Zeit, machen es uns erstmal direkt unterhalb des Gipfels gemütlich, futtern Gummibärchen und lassen das Panorama auf uns wirken. Welch ein Privileg, hier sein zu dürfen. Und hab ich eigentlich schon mal erwähnt, wie schön unsere Alpen sind? – Und wie kalt? Auch wenn ich aus Prinzip meine kurze Hose trage, inzwischen hat sich der Himmel zugezogen und es geht ein frischer Wind. Uns fröstelt so langsam und wir machen uns auf den Weg zur Hütte, wo bereits die besten Spinatknödel überhaupt auf uns warten! Und das bei weiterhin überragendem Panorama. Einzig der Bezahlungsprozess hier oben macht mich immer wahnsinnig, aber auch das kriegen wir irgendwann geregelt und nehmen den letzten Abschnitt, den Abstieg zu unserem bestellten Taxi-Transfer, in Angriff.

Seit einer Weile gibt es einen neuen, nur 10min längeren Steig durch einen wunderschönen Zirbenwald. Den kleineren Umweg nehmen wir gerne in Kauf, die Blicke auf diesem Abschnitt lohnen es allemal. Wir kommen auf die Minute pünktlich bei unserem schon bereit stehenden Kleinbus an und genau in dem Moment beginnt es zu regnen. Jackpot! Rein da und runter ins Innerfeldtal. Der vertraute Südtiroler Dialekt unseres Fahrers löst Urlaubsgefühle in mir aus und ich freue mich auf die Dreischusterhütte und ein gutes Glas Lagrein! Bis wir am Eingang des Innerfeldtals in den Shuttlebus umsteigen (das Tal ist im Sommer autofrei – ein Konzept, das sich meiner Meinung nach noch deutlich mehr Täler überlegen sollten), haben wir noch Handyempfang und ich bekomme ein Foto von Jana. Sie ist für eine andere Bergschule einen Tag hinter uns auf der gleichen Route unterwegs und aufgrund der Verhältnisse stehen wir viel im Austausch und ich versorge sie mit aktuellen Fotos und Edelweiß-Koordinaten 😉 Das Foto von ihr zeigt die Pfandlscharte am Tag später und ich bin auf den ersten Blick doch ganz zufrieden mit meiner Spur!

An der Bushaltestelle treffen wir auch Oli wieder, der uns auf die Dreischusterhütte begleiten wird. Vom Endpunkt des Busses geht es noch 20min entspannt ins Tal rein. Die Hütte liegt wunderschön abgelegen und die Tagesgäste verabschieden sich um diese Uhrzeit meist langsam, so dass oben ein wenig Ruhe einkehrt. Der kurze Schauer hat sich wieder verzogen und wir können sogar kurz auf der Terrasse sitzen und in Richtung unseres morgigen Ziels blicken. Unser letzter gemeinsamer Abend ist extrem lecker (eigentlich immer hier) und lustig und wir genießen nochmal einen Abend ohne Empfang und mit viel Gemeinschaft.

Tag 7 – Tre Cime und Südtiroler Jause mit Panorama-View

Tag 7. What? Schon Tag 7?? Es ist wirklich immer wieder erstaunlich, wie schnell eine Woche auf Alpenüberquerung vergeht. Gefühlt habe ich gerade erst jeden am Parkplatz begrüßt, wir haben uns beschnuppert, kennengelernt, gemeinsam gefightet, gelacht und unvergessliche Erinnerungen geschaffen. Und nun ist tatsächlich schon ist der letzte Tag angebrochen und das ganz große Ziel, die Drei Zinnen und damit die erfolgreiche Alpenüberquerung sind in absolut greifbarer Nähe. Die Nacht war unruhig in unserem Bergführerlager, von dem viele Gäste immer denken, es handle sich um eine kleine Suite mit Boxspringbett und Privat-Jacuzzi. In der Realität schliefen Timo, Marius und ich im Notlager auf Matratzen am Dachboden mit einem weiteren Guide von Hagen Alpin und zwei schnarchenden italienischen Gästen, die das Konzept von Stirnlampen und Hüttenschlafsäcken noch nicht verstanden haben…

Das Frühstück auf der Dreischusterhütte ist dafür lecker und der Kaffee in Südtirol sowieso immer eine andere Kategorie. Gut gelaunt starten wir pünktlich und hoch motiviert, Tag 2 in kurzer Hose! Ich liebe diesen Tag. Zunächst geht es eben hinter ins Tal und dann super abwechslungsreich in Etappen stetig bergauf. Immer an den perfekten Stellen eröffnet sich ein richtig schöner Pausenplatz. Es gibt immer wieder schattige Abschnitte und solche mit Weitblicken zurück Richtung Norden. Nach den eher erdigen Pfaden bzw. des Schnees der vergangenen Tage genieße ich das Dolomitgestein und die Abwechselung sehr. Mit jedem Schritt steigt die Spannung und nach ca. 800Hm taucht langsam die Spitze der großen Zinne am Horizont auf.

Eine letzte kurze Trinkpause und dann gehen wir gemeinsam die letzten Meter zu dem schönen Aussichtsplateau etwas abseits des Weges. Diesen Tipp habe ich bei meiner ersten Watzmann – Drei Zinnen von einer lieben Kollegin bekommen und seit dem ist dieser Ort etwas ganz besonderes für mich. Mit jedem Schritt hier rauf öffnet sich der Blick ein Stück weiter und die gigantische Kulisse mit den Drei Zinnen als Hauptdarstellerinnen tut sich vor uns auf. Absolute Gänsehaut – jedes Mal wieder. Auf diesen paar wenigen Schritten erntet man die Belohnung für die Quälereien und den Kampf der vergangenen Tage.

Wir fallen uns in die Arme und gratulieren uns gegenseitig zur erfolgreichen Alpenüberquerung und zu diesem großen gemeinsamen Abenteuer. Dank Olis genialen Shuttle-Diensten in den vergangenen Tagen (Danke! 🙏🏼) packen wir hier oben alles aus, was er uns am Vortag an der Drei-Schuster Hütte mitgebracht hat: Schüttelbrot, Kaminwurzen, Bergkäse, Paprika, Gummibärchen und Kekse. Es ist ein Festmahl in der schönsten Kulisse, die ich mir für ein solches Picknick wünschen könnte. Zum vierten Mal darf ich hier mit einer tollen Gruppe sitzen und jedes Mal aufs Neue erfüllt mich dieser Moment mit tiefer Dankbarkeit. Alles ging gut, alle sind gesund und glücklich bis hierher gekommen und ich darf diesen wunderbaren Ort meinen Arbeitsplatz nennen. Für diese Momente lohnt es sich, immer und immer wieder.

Wir genießen den Moment, knipsen Erinnerungsfotos und kurz bevor wir uns an den Abstieg machen, trommle ich die Gruppe nochmal zusammen. Es ist Zeit meine Urkunden-Steinchen zu verteilen. Besonders gerne finde ich dabei noch ein paar persönliche Worte für die Gruppe. Und auch, wenn ich zum vierten Mal hier bin – jede Gruppe ist anders und diese Woche zusammen war eine wahrlich besondere. Einen Tag wie den an der Pfandlscharte habe ich so auch noch nie auf Führungstour erlebt und die Art und Weise, wie wir das gemeinsam gerockt haben, wird für immer eine ganz besondere Erinnerung für mich bleiben.

Der Abstieg ins Fischleintal zieht sich noch ziemlich – immer… Aber wir schaffen es rechtzeitig für ein Eis und ein Kaltgetränk am Kiosk, bevor wir in unseren komfortablen Reisebus zurück nach Berchtesgaden steigen. 7 Tage ist es her, dass wir im Linienbus saßen, gegenseitig „wie war dein Name nochmal?“ gefragt haben und nun fühlt es sich an, als ob wir uns seit Jahren kennen und die Stimmung ist ausgelassen. Es ist immer wieder faszinierend, wie sehr das gemeinsame Überwinden von Herausforderungen Menschen zusammenschweißen kann. Und wie viele Erinnerungen und wie viel (Er)leben man in eine Woche am Berg packen kann.

Was bleibt?

„Abenteuer beginnen dort, wo die Komfortzone endet“ – Mit dieser Überschrift habe ich ein paar Impressionen dieser Woche danach auf Instagram geteilt. Aber für ein Fazit möchte ich gerne Jannikas Worte teilen, die sie der Gruppe gewidmet hat:

Ich bin verliebt. In das prasseln, der Regentropfen. In die Natur, der durch kein Wetter ihre Schönheit genommen werden kann. In die Nebelschwaden, die sich in den Bäumen fangen. Ich bin verliebt in die Sonne auf der Haut.  Die tiefen Atemzüge. Die mitreißenden Gespräche und das Urvertrauen in Menschen.
Ich bin verliebt, in große und kleine Abenteuer. Herausforderungen, die man gemeinsam meistert. Stille Momente, die man miteinander teilt.
Eine Reise die noch nicht zuende ist, aber jetzt schon so voller Momente, die man nie wieder vergessen wird.
Eine Reise, die mir die Schützenswerte Natur noch einmal so viel näher bringt.
Atemberaubende Ausblicke, deren Schönheit und Naturgewalt einem Freudentränen in die Augen treiben.
Meilenweite Sicht, die einem das Gefühl gibt, ganz klein zu sein und die die eigene kleine Welt in ein anderes Licht rückt.
Ich bin verliebt, in das gute Essen. Das gemeinsame Lachen. Darin, dass l ein und das selbe Spiel zig verschiedene Namen haben kann und alle miteinander vereint.
Habe glasklares Wasser in reißenden Strömen, in plätschernden Bächen und rauschenden Wasserfällen gesehen.
Konnte die Tierwelt der Alpen hautnah erleben, seltene Pflanzen sehen und durfte unglaublich viel neues lernen.
Ich bin verliebt in die Welt. Verliebt ins Wandern. Egal, bei welchem Wetter.

P.s.: An dieser Stelle möchte ich der ganzen Gruppe danken, die jeden einzelnen so herzlich aufgenommen haben. Immer zusammengehalten haben und mit der ich dieses Abenteuer erleben durfte. Danke an die Motivationsmanagerin, ohne die der Trip sicher nur halb so energetisch geworden wäre.
Danke an unser Abendmitglied, der die eine oder andere Situation retten konnte und sich so gut eingefügt hat.
Danke an unseren Wiederholer, der mit eigenen Erfahrungen auch immer noch etwas beitragen konnte.
Danke an unsere gute Seele, der immer unglaublich herzlich war und immer ohne Mürren durchgezogen hat (auch wenn ich deinen Dialekt nicht immer 100% verstanden habe)
Danke an unseren Health-Manager, der mich das eine oder andere Mal zum Nachdenken angeregt und mit seiner Ausstrahlung immer eine angenehme Ruhe verbreitet hat.
Danke an unseren Paceswitcher, der entweder ganz vorn oder ganz hinten mit dabei war.
Danke, an den Creme-Deligierten der meinen Muskelkater gerettet hat.
Danke an unseren Physiker, der so viel Wissen zu teilen hatte.
Danke an den Sashimi-Verfechter, der immer einen Witz auf den Lippen hatte und der Gruppe so viele Lacher beschert hat.
Und natürlich danke, an die tolle Wanderfrau, die mit expertise, Humor, Vertrauen und vielleicht sogar ein bisschen Mut dieses Abenteuer erst möglich gemacht hat. Die nicht aufgegeben hat und an uns geglaubt hat auch widrige Situationen zu überstehen, von denen wir noch lange reden und auch zehren können. An die tolle Wanderfrau, die es schafft sich wie eine Freundin und Vorbild anzufühlen, auch wenn man sie noch nicht so lange kennt.

Ihr merkt, ich bin nicht nur beim Wandern eine Freundin vieler Worte… Deshalb vielleicht noch ganz kurz zusammengefasst:
Danke. War mega geil!

DANKE an Jannika, Jessy, Oli, Thomas, Georg, Markus, Florian, Matthias, Jürgen & Stefan für euer (erneutes) Vertrauen in mich und diese erlebnisreiche, abenteuerliche Woche, an die ich noch sehr lange mit einem fetten Grinsen denken werde. ♥

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